Verhaltensmuster und Ernährungstrends - was bedeutet dies für Hersteller, Handel und Food Service-Anbieter?

Dr. Susanne Schröder, vorm. Managing Director, NFO Infratest Marketingforschung, Frankfurt, in Zusammenarbeit mit Anke Majer, Senior Consultant, NFO Infratest Marketingforschung, Frankfurt

Sie können sich die Studie mit erläuternden Grafiken auch als [pdf-Datei herunterladen]

Verhaltensmuster und Ernährungstrends - was bedeutet dies für Hersteller, Handel und Food Service-Anbieter?

Dr. Susanne Schröder, vorm. Managing Director, NFO Infratest Marketingforschung, Frankfurt, in Zusammenarbeit mit Anke Majer, Senior Consultant, NFO Infratest Marketingforschung, Frankfurt

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Welch nüchterner Titel für ein Thema, das vielen das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt! Denn es ruft ein sehr reichhaltiges, breit gefächertes assoziatives Umfeld hervor: Snacking - das klingt nach Indoor und Outdoor, nach Aktivität und Passivität, nach Geselligkeit und Rückzug. Zwischen "warm, gemütlich, Füße hochlegen, abschalten, kleine Fluchten", aber auch "schneller Kick, gut drauf sein, zusammen mit anderen einen drauf machen", kurz gesagt, zwischen Lust und Frust ist alles möglich.

Bevor wir uns einer Typologie des Snackers widmen, seien einige Grundvoraussetzungen abgeklärt.

Zunächst einmal, was versteht man gemeinhin unter einem Snack? Für die Mehrzahl der Verbraucher ist ein Snack eine kleine schnelle Zwischenmahlzeit, hin und wieder auch ein Mahlzeiten- Ersatz. Ein Snack - er kann süß oder herzhaft sein - wird weiterhin assoziiert mit Convenience (einfach, unkompliziert), sowie mit Unabhängigkeit von Raum und Zeit ("wo immer - wann immer"). Er wird bevorzugt nachmittags und abends konsumiert, in erster Linie in den eigenen vier Wänden, in der Freizeit oder unterwegs / auf Reisen.

Neben diesen eher physisch-objektiven Kriterien eines Snacks ist seine psychisch-subjektive Komponente entscheidend: Snacking bedeutet einen emotionalen Mehrwert. Da geht es um "sich belohnen, Anbahnung von Kontakten und Kontaktpflege, um Zeit totzuschlagen / sich die Zeit zu vertreiben, besser über die Runden zu kommen etc."

Die Snacking-Kultur wächst. Nach gängiger Meinung (vgl. u.a. Untersuchungen der BBE-Unternehmensberatung Köln) wird diese Entwicklung von den folgenden sogenannten Megatrends, verstanden im Sinne von äußeren Rahmenbedingungen, begünstigt: der wachsenden Zahl von Single-Haushalten oder "Rumpffamilien", der Auflösung des traditionellen Mahlzeiten-Rhythmus ("eating around the clock", die 24-Stunden-Gesellschaft), dem zunehmenden Zeitmangel - u.a. auch bedingt durch eine immer anspruchsvoller werdende Freizeitgestaltung, durch einen Verbraucher, dessen Verhalten von Multi-Optionalität und Individualisierung geprägt ist und schließlich durch einen ausgeprägten Hedonismus jedes einzelnen, in der Summe häufig auch als Spaß-Gesellschaft bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund ist Snacking gang und gäbe, ein fester Bestandteil unseres Alltags. Wobei mit dem Fazit "jeder tut es" auch fast schon die einzige Konstante in einem höchst komplexen und dynamischen Markt benannt wäre.

Daraus folgt, dass es den Snacker par excellence nicht gibt! Gesnackt wird immer, überall, von jedem und aus den unterschiedlichsten Motiven.

Damit treffen wir ein wesentliches Merkmal des Snack-Marktes überhaupt, die Motive: Ein und dieselbe Person wird in unterschiedlichen Situationen, aus unterschiedlichen Motiven - je nach Gefühlszustand und Rollenverständnis (Selbst-Inszenierung) - unterschiedlich auf das Snack-Angebot reagieren und somit ihr eigenes Relevant Set unterschiedlich zusammenstellen.

Das führt uns direkt zu dem heute häufig als chaotisch apostrophierten Verbraucher, der letzten Endes "nur" deshalb so wahrgenommen wird, weil er sich in unterschiedlichen Situationen verschiedene Sets von Einstellungen und Handlungskonsequenzen zu eigen macht, was ihn zunächst als weniger berechenbar erscheinen läßt. Die Konsequenz daraus ist, daß eine Typologisierung bzw. Segmentierung des Marktes, die soziodemograpisch oder idealtypisch über den Verwender bzw. Käufer erfolgt, immer häufiger versagt. In vielen Märkten - z.B. bei Getränken, Kosmetika, und im Snack-Markt sowieso - ist eine sogenannte "ideale" Segmentation einfach ungeeignet.

Der Snack-Markt ist damit ein sogenannter "modaler Markt", d.h. Verbraucher lassen sich eben nicht nur einem einzigen Marktsegment zuordnen, sondern gehören zu verschiedenen Segmenten eines Marktes. Eine modale Segmentation kann dies abbilden: sie differenziert den Markt nach Bedarfsstrukturen, die Such-Strategien orientieren sich dabei an unterschiedlichen Motiven, divergierenden Gefühlszuständen, wechselnden situativen Umfeldern (Modi) und wechselnden psychischen Befindlichkeiten.

Viele Untersuchungen im deutschen Markt haben gezeigt, dass der Snack-Konsum gewissen "Patterns" im Sinne von needs- oder bedürfnisorientierten Verhaltensmustern folgt, die es für ein zielgerichtetes Marketing zu kennen gilt.

Zur Ermittlung der relevanten Grundmuster im deutschen Snacking-Markt haben wir ImpAl eingesetzt, das qualitative Modul des ImpSys.

ImpSys - das Implizite System - ist eine hochkarätige Marktforschungs-Toolbox von NFO Infratest und der NFO Worldgroup, einsetzbar im Rahmen qualitativer und quantitativer Marktforschung. Kernstück des ImpSys ist das unten abgebildete, auf tiefenpsychologischen Erkenntnissen basierende Oktagon, eine Abbildung der Grundmuster aller Persönlichkeitstypen. Über international validierte Fotos können Produktkategorien, Marken, TV-Spots, Packungen, Logos etc. positioniert werden. Das System heißt ImpSys, weil mittels der projektiven Technik der Fotozuordnung auch in der quantitativen Forschung eine emotional-unbewusst-implizite Positionierung erfolgt (Ò Ermittlung der Markenpersönlichkeit), in Ergänzung zur rational-bewusst-expliziten Beurteilung über "traditionelle" Statements (Ò Ermittlung der Markenidentität).

Wesentliche Charakteristika von ImpSys:

  • Das ImpSys-Modell hat sein Fundament in den psychologischen Grundlagen des bio-energetischen Lebensprinzips, bei dem es letzten Endes darum geht, Triebe, Instinkte und Bedürfnisse so zu befriedigen, dass Innen- und Aussenwelt in Einklang stehen.
  • Es bildet die Grundmuster ab, die Menschen zur Verfügung stehen, um bio-dynamische Instinkte mit sozialen Erfordernissen in Einklang zu bringen: auf der physiologischen oder Überlebens-Achse sind dies Externalisation (aussengerichtet) oder Kompensation (innengerichtet), auf der sozialen Achse Sublimation in der Gruppe/Empathie oder Sublimation durch Leistung/Egozentrismus.
  • Durch die Verknüpfung dieser Dimensionen lässt sich ein Raum aufspannen, der konstant ist. Die Interpretationssicherheit der Ergebnisse ist damit deutlich erhöht und über Produktkategorien/Marken, über die Zeit hinweg und zwischen Ländern vergleichbar.

Auf der Landkarte des Oktagons, aufgespannt durch seine physiologische und soziale Achse, lassen sich für den deutschen Snack-Markt 6 Grundmuster ausmachen, die deutlich voneinander abgrenzbar sind. Wir haben sie als "Der ultimative Kick", "Spaß, Spiel, Spannung", "Füße hoch und abschalten", "Voller Bauch studiert nicht gern", "Alles unter Kontrolle" und "Das Stückchen Extravaganz" bezeichnet.

Im Folgenden werden die Grundmuster der Reihe nach in ihren funktionalen und emotionalen Facetten beschrieben:

1. Der ultimative Kick

  • Hauptmotive sind: Energie tanken, um physisch und psychisch fit zu sein, um Karriere zu gestalten bzw. generell um individuelle/persönliche Ziele zu erreichen.
  • Damit assoziierte Produkterlebnisse sind: knackig, mit Biß, frisch und fruchtig, eher kräftig.
  • Snacking-Anlässe sind: ehrlicher Appetit, Sofort-Orientierung, auch Ersatz einer Hauptmahlzeit.
  • Typische Produkte sind: Salate, Fruchtschnitte, Vitaminriegel, Trockenobst. Gesunde Produkte - ausgewogen, aber ohne Geschmacksverzicht.
  • Die korrespondierenden Erlebniswelten sind eher outdoor-orientiert und spielen sich im Leistungssektor - entweder Sport oder Beruf - ab.

2. Spass, Spiel, Spannung

  • Hauptmotive sind: Fun und Geselligkeit unter Freunden, dem Alltag ein Schnippchen schlagen, unbeschwert genießen.
  • Produkterlebnisse sind: sorgloses Durcheinander-Essen ohne Rücksicht auf Kalorien, alles was kernig und knusprig ist, süß oder salzig.
  • Snackinganlässe reichen von "richtig Kohldampf" bis "einfach Lust drauf haben".
  • Typische Produkte sind: Gummibärchen, Schoko-Riegel, Studentenfutter, alles was man teilen kann.
  • Korrespondierende Erlebniswelten sind freizeit- und spaß-orientiert. Werte wie Toleranz und Kameradschaft spielen eine große Rolle.

3. Füsse hoch und abschalten

  • Hauptmotive sind: dem Alltag entfliehen, eine Auszeit nehmen, sich auf sich selbst besinnen.
  • Produkterlebnisse sind: weich, eher lutschen als kauen, schnuckelig, richtig schön süß.
  • Snackinganlässe sind: kleine Verwöhn-Momente zum Trost oder zur Entspannung, typisches Verhalten ist der Griff in die Tasche/in die Schublade, Vorratshaltung des Lieblingssnacks spielt eine große Rolle.
  • Typische Produkte sind: gefüllte Schokoladen, Kekse, Waffeln, Pudding.
  • Erlebniswelten korrespondieren mit Cocooning, sind eher indoor-orientiert, Werte wie Vertrauen und Harmonie sind positiv besetzt.

4. Voller Bauch studiert nicht gern

  • Hauptmotive sind: schnelle Sättigung, Hungergefühl abblocken.
  • Snackinganlässe sind: Heißhunger, häufig Mahlzeiten-Ersatz.
  • Damit assoziierte Produkterlebnisse sind: "heiß und fettig", was Substantielles, nicht wählerisch, das Nächstbeste, Hauptsache praktisch und schnell, aus der Hand essen.
  • Typische Produkte sind: Bratwurst, Hot Dog, Pommes Frites mit Mayonnaise, eher herzhaft als süß.
  • Erlebniswelten sind: eher nüchtern, im Alltag den Kopf oben behalten, im Einklang mit sich selbst.

5. Alles unter Kontrolle

  • Hauptmotive sind: diszipliniertes Essen, dem Körper nur das Notwendigste zuführen, Verzicht, nur keine Völlerei.
  • Snackinganlässe sind: klar markierte Abschnitte in einem strukturierten Tagesablauf.
  • Produkterlebnisse sind: leicht, luftig, kleine Stückchen, sauber, sich nicht die Hände schmutzig machen.
  • Typische Produkte sind: kalorienreduzierte Feinkostprodukte, Suppen, Reiscracker oder Sojaprodukte.
  • Erlebniswelten werden von den Prinzipien Übersichtlichkeit und Planbarkeit bestimmt und spielen sich eher in den eigenen vier Wänden ab.

6. Das Stückchen Extravaganz

  • Hauptmotive sind: Verwöhnen und Belohnen mit demonstrativem Charakter, gerne in ausgesuchter Gesellschaft.
  • Snackinganlässe sind: kleine Feten, Empfänge, Geschäftstreffen.
  • Produkterlebnisse sind: edel, fein, mit Messer und Gabel, nett angerichtet, das Auge ißt mit.
  • Typische Produkte sind: Delikatessen, Pralinen, In-Produkte wie Hummer, Krustentiere, Sushi.
  • Erlebniswelten sind geprägt von der Inszenierung des eigenen Wohlstands, von Stil und Qualität.

Snacking folgt unseren Erkenntnissen nach im wesentlichen diesen 6 Grundmustern, eine Feindifferenzierung ergibt sich aus Kombinationen und Abstufungen zwischen den "Patterns", bzw. der dynamischen Interaktion der Need-States.

Der Vorteil einer Verortung des Snack-Marktes auf der Landkarte zwischen Expression und Repression, zwischen sozialer Empathie und Egozentrismus ist seine Aktionabilität: Statt einer Positionierung abgestimmt auf Zielgruppen - z.B. der dynamisch-extrovertierte Banker, Mitte 30 - lassen sich stimmige Positionierungskonzepte entwickeln, die durch einen situativen Kontext gesteuert sind und daher breite Zielgruppen unterschiedlicher Herkunft ansprechen.

"Geordnete Rückzugsgefechte aus dem Alltag" auf der Suche nach Entspannung und Abschalten trifft auf den Azubi, die Business-Frau, den Hausmann oder den Politiker gleichermaßen zu und läßt eine Zielgruppe, die demographisch gesehen heterogen und zersplittert ist, auf einmal homogen erscheinen. "Der schnelle Kick", um mental und physisch auf der Höhe zu sein, ist ein Motiv für den Werbeprofi genauso wie für den Studenten oder den Außendienstmitarbeiter auf dem Weg von A nach B.

Was heißt das für Handel, Hersteller und Serviceanbieter im Snack-Markt? Es geht allemal um Inszenierung, um das Bedienen von Gefühlslagen und subjektiv-objektiven Befindlichkeiten. Marketing richtet sich nicht an einen Verbraucher in einem vordefinierten Segment, sondern identifiziert denselben Verbraucher überall dort, wo er an unterschiedlichen Konsum-Szenarien teilnimmt und sich wie selbstverständlich der gesamten Bandbreite von Produkten und Marken bedient.

Die Attraktivität einer modalen Segmentation aus Marketingsicht ist u.a. auch darin gegeben, daß kategorieübergreifend Substitutionsbeziehungen und damit wirklicher Wettbewerb um die Gunst des Verbrauchers erkennbar werden. Es geht einmal mehr um Sinnstiftung - dann erst kommt das Produkt:

Im "Spaß, Spiel, Spannung"- Segment konkurriert Bifi gleichermaßen mit Snickers, einer Handvoll Studentenfutter oder Kinder Milchschnitte.

"Der ultimative Kick" wird von einem Müsli-Riegel genauso wie von einer Banane erwartet, einem Müller Milchreis oder einem Energy-Drink.

"Füße hochlegen und abschalten": Die Welt von Magnum, Chio Chips oder der Prinzenrolle.

"Ein Stückchen Extravaganz": Die Tüte Salzmandeln oder Lindt-Pralinen oder doch lieber Gorgonzola mit Birne? Alles ist möglich, sofern es stimmig zu der jeweiligen Befindlichkeit paßt.

Mit Hilfe der modalen Segmentation wie sie z.B. mit ImpSys als Marktforschungs-Tool von NFO Infratest erreicht wird, wird eine Feinrasterung der Needs funktionaler und emotionaler Natur möglich, mit weitreichenden Konsequenzen für das Marketing:

  • Dort wo auf einmal kategorieübergreifende Substitutionsbeziehungen erkennbar werden, ergeben sich neue Ansätze für ein verbraucher-fokussiertes Category Management. Als Beispiel sei das Konzept "Snack-Shop" erwähnt, das Tesco in Großbritannien recht erfolgreich umgesetzt hat.
  • Durch die Quantifizierung von Need-Segmenten können attraktive Positionierungsstrategien entwickelt werden, z.B. vor dem Hintergrund, daß das - im Sinne der Reichweite - vermeintlich kleinere Segment aufgrund seiner hohen Verwendungsintensität sehr lukrativ sein kann.
  • Last but not least: Dort wo Marketing als Sinnstiftung verstanden wird, ergeben sich neue Ansätze für Co-Branding und Merchandising.

Februar 2002

Literatur:

I. Hubertz: Die Marke auf der Couch: Das Wesen der Marke und wie man es messen kann, planung + analyse 2/2000

I. Hubertz: Verbraucherbindung durch Markenführung, planung + analyse 6/2001

P. Heylen: The implicit way to people's mind, 1970

Quelle: Frankfurt [ NFO Infratest Marktforschung ]

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